On-Demand-Shuttle trifft Carsharing: Ein Weg zu effizienterem Nahverkehr

29.11.2024 | Philipp Krammer | NKVB | Lesedauer: ca. 6 Minuten

 

Wie an zahlreichen Fachseminaren und immer neuen lokal aufkeimenden Projekten mit hippen Namen wie „Revierflitzer“ oder „flexline“ unschwer zu erkennen ist, sind On-Demand-Shuttle ein aktuelles Mode-Thema im ÖPNV. Ähnlich wie Freefloating-Car-Sharing-Systeme ermöglichen sie es den Fahrgästen – in der Regel gegen Aufpreis – sich den Zwängen des liniengebundenen ÖPNV zu entziehen und sich umsteigefrei von A nach B zu bewegen. Wir machen an dieser Stelle ein Gedankenexperiment: Wie könnte ein System aussehen, das On-Demand-Shuttle und Free-Floating-Car-Sharing kombiniert? Tauchen Sie ein in unseren fiktiven Service „Public Transport Plus (PTP)".

Abbildung 1: Freefloating-Carsharing - im Bild: Free2move - erfüllt eine ähnliche Funktion wie On-Demand-Shuttle, wird aber trotz geringerer Personalkosten deutlich weniger durch die öffentliche Hand gefördert. | Foto: Philipp Krammer

Gemeinsame Ansätze, aber sehr unterschiedliche Kostenstrukturen

 

Sowohl Free-Floating-Car-Sharing-Systeme als auch On-Demand-Shuttle bieten eine komfortable Alternative zum öffentlichen Nahverkehr, insbesondere wenn dieser aufgrund langer Wartezeiten oder großer Distanzen zur nächsten Haltestelle unattraktiv ist. Wir unterstellen: In solchen Fällen ist es für die meisten Fahrgäste irrelevant, ob sie selbst fahren (Free-Floating-Car-Sharing) oder gefahren werden (On-Demand-Shuttle). Dennoch ist zu beachten, dass die Personalkosten den größten Kostenfaktor darstellen, was On-Demand-Shuttles für die Aufgabenträger relativ teuer macht.

 

Angesichts der hohen Nachfrage wurden die Flotten vieler On-Demand-Systeme über die Jahre erweitert, was zu einem signifikanten Anstieg der Personalkosten bei weiterhin niedrigen Einnahmen führte. Diese Entwicklung hat in einigen Regionen bereits dazu geführt, dass trotz des Erfolgs solcher Systeme über deren Einstellung nachgedacht wird. Wenn wir annehmen, dass Free-Floating-Car-Sharing-Systeme, die derzeit eher nach wirtschaftlichen Überlegungen der Betreiber als nach volkswirtschaftlichen Zielen (wie Verkehrswende oder Verkehrsverlagerung) dimensioniert werden, eine ähnliche Funktion erfüllen, könnte sich hier ein erhebliches Einsparpotenzial ergeben. Ein innovatives Kombi-System, das die Vorteile beider Konzepte vereint, könnte folgendermaßen gestaltet sein:

Unter einem einheitlichen Markennamen – nennen wir das System einmal fiktiv „Public Transport Plus (PTP)“ – können Fahrgäste zu einem über den lokalen Verbundtarif hinausgehenden Preis innerhalb eines abgegrenzten Gebietes umsteigefrei von A nach B fahren. Hierfür sind zwei Möglichkeiten vorgesehen.

 

Variante 1: Mit Chauffeur

 

Die Variante mit Chauffeur entspricht dem Prinzip aktueller On-Demand-Projekte. Der Fahrgast bucht eine Fahrt ab einer fiktiven Haltestelle und lässt sich zu einer fiktiven Haltestelle befördern. Selbst fahren muss er nicht, wofür Fahrzeuge mit Chauffeuren bereitgestellt werden. In der PTP-App bekommt der Fahrgast angezeigt, wann die mutmaßliche Abholzeit stattfinden wird und mit welcher Ankunftszeit gerechnet werden kann. Um das im On-Demand-Verkehr gewünschte „Pooling“ zu erreichen, wird der Fahrgast nicht unbedingt auf dem schnellsten Weg befördert. Im Falle, dass sich der Fahrtwunsch eines anderen Fahrgastes kombinieren lässt, wird ggf. ein Umweg in Kauf genommen, um mehrere Fahrten zu kombinieren.

Abbildung 2: Oft werden On-Demand-Shuttle – wie hier das FlexMobil im Landkreis Esslingen – von mehreren Fahrgästen, die unterschiedliche Zielorte ansteuern, zeitgleich genutzt. Dadurch können Umwege anfallen, welch die Reisezeit verlängern. | Foto: Philipp Krammer

Variante 2: Ohne Chauffeur

 

Die Variante ohne Chauffeur entspricht dem Prinzip von Freefloating-Carsharing. Hierbei steigt der Fahrgast in ein kleines Elektrofahrzeug (Zweisitzer) ein und fährt selbst zu seinem Ziel im PTP-Gebiet. Durch eine ausreichend dimensionierte Flotte ist das nächste verfügbare Fahrzeug zu großer Wahrscheinlichkeit fußläufig für den Fahrgast erreichbar. Wo die Elektrofahrzeuge stehen, sieht der Fahrgast in der PTP-App. Am Startort muss der Fahrgast womöglich ein paar Schritte weiter laufen, weil das Fahrzeug ihn mangels Chauffeur nicht an einer fiktiven Haltestelle abholen kann. Allerdings wird dieser Nachteil in zweierlei Hinsicht kompensiert:

  • Am Zielort ist der PTP-Nutzer nicht an die Restriktionen eines fiktiven Haltestellennetzes – wie wir es von On-Demand-Shuttle-Systemen kennen – gebunden. Er kann direkt zu seinem Ziel fahren und dort jeden freien Parkplatz wählen.
     
  • Der PTP-Nutzer muss keine pooling-bedingten Umwege in Kauf nehmen und fährt auf einem selbst gewählten und damit mutmaßlich direkten Weg vom Start- zum Zielort.

In Tabelle 1 haben wir aus Nutzersicht die Vorteile der Variante 1 (mit Chauffeur) und Variante 2 (ohne Chauffeur) gegenübergestellt:

Tarifliche Überlegungen

 

Die Variante 1 (mit Chauffeur) erhält im Vergleich zu Variante 2 einen etwas teureren Tarif, da für diesen Service für die öffentliche Hand deutlich höhere Kosten anfallen (Fahrpersonal). Minderjährige Fahrgäste, Senioren, die freiwillig ihren Führerschein abgegeben haben oder Fahrgäste, die aufgrund einer Behinderung keinen Führerschein machen können, sind von diesem Aufpreis befreit und zahlen generell den Tarif „ohne Chauffeur“. Die Variante 2 (ohne Chauffeur) ist dagegen signifikant günstiger buchbar als Variante 1, auch wenn ein über den lokalen Verbundtarif hinausgehender Kostenbeitrag erforderlich bleibt.

 

Mutmaßliche Effekte

 

Es wäre zu vermuten, dass ausgehend von den heutigen On-Demand-Systemen ein sehr großer Anteil der Nachfrage auf Variante 2 (ohne Chauffeur) übergeht, da diese für Fahrgäste kostengünstiger ist und – wie bereits erläutert – mit kürzeren Fußwegen am Zielort sowie der Vermeidung von pooling-bedingten Umwegen tatsächlich aus Fahrgastsicht sogar handfeste Vorteile bestehen. Dadurch wiederum dürften die Kosten der öffentlichen Hand im Vergleich zu aktuellen On-Demand-Systemen deutlich sinken, da die Nachfrage in Variante 2 (ohne Chauffeur) zu einem Bruchteil der Kosten von Variante 1 anzubieten ist. Durch diese stark gesunkenen Kosten wiederum könnten derartig adaptierte On-Demand-Angebote (Kombination On-Demand-Verkehr / Freefloating-Car-Sharing) mit den heutigen Budgets deutlich ausgebaut werden, sodass längere Betriebszeiten (z.B. ganztags statt nur Spät- und Nachtverkehr) oder stadtübergreifende Netze finanzierbar wären. 

Abbildung 3: On-Demand-Shuttle sind durch den Einsatz von Fahrpersonal im Betrieb vergleichsweise kostenintensiv. Freefloating-Carsharing-Systeme kommen dagegen ohne den Einsatz von Fahrpersonal aus.  | Foto: Philipp Krammer

Aufgabe der öffentlichen Hand?

 

Dass der klassische liniengebundene ÖPNV eine legitime Aufgabe der öffentlichen Hand ist, wird kaum bestritten. Mit der Finanzierung von On-Demand-Shuttle-Systemen gehen lokale Gebietskörperschaften aber vielerorts einen Schritt weiter. Sie verwenden öffentliches Geld für ein Verkehrssystem, das zwischen klassischem ÖPNV und Taxi anzusiedeln ist und für Fahrgäste meist nur unter Inkaufnahme von Zusatzkosten gegenüber dem klassischen ÖPNV-Tarif nutzbar ist. Auch Kostendeckungsgrade, die oftmals deutlich schlechter sind als im klassischen ÖPNV, werden hierbei in Kauf genommen. Die Frage der Legitimation für die Finanzierung derartiger Systeme kann wie folgt beantwortet werden: Der ÖPNV kann zu gewissen Zeiten und auf bestimmten Relationen systembedingt keine ausreichend attraktive Alternative zum privaten PKW darstellen, sodass zusätzliche Systeme erforderlich sind, um Individuen ein Leben ohne Privat-PKW schmackhaft zu machen. Diese Argumentation weiß unseres Erachtens durchaus zu überzeugen, wirft allerdings folgende Frage auf: Freefloating-Carsharing-Systeme erfüllen eine nahezu identische Aufgabe. Deren Dimensionierung bemisst sich allerdings nach wie vor primär nach dem Ermessen betriebswirtschaftlich agierender Unternehmen. On-Demand-Shuttle dagegen werden bei höheren Produktionskosten – bedingt durch die Notwendigkeit von Fahrpersonal – auch unter Inkaufnahme von schlechten Kostendeckungsgraden mit öffentlichen Geldern betrieben. Die Frage, warum das vergleichsweise teure Verkehrssystem „On-Demand Shuttle“ also eine öffentliche Aufgabe sein soll und das vergleichsweise günstige Verkehrssystem „Freefloating-Carsharing“ nach betriebswirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten dimensioniert wird, darf deshalb auf jeden Fall gestellt werden.

Viele offene Fragen

 

Abschließend geben wir gerne zu: Bis ein derartiges System etabliert werden könnte, sind noch zahlreiche Fragen rechtlicher und technischer Natur zu klären. Aber Probleme sind bekanntlich da, um gelöst zu werden. Daher wollen wir diesen Fachbeitrag mit einem Appell an die ÖPNV-Branche beenden: Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns diesen Ansatz gerne zusammen weiterdenken!

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